Geschichte der Sinti

Die Geschichte der Sinti kann lediglich durch Überlieferungen und wenige Dokumente dargestellt werden.

Von den Sinti selbst wurden in den vergangenen 600 Jahren kaum Aufzeichnungen gemacht. Lediglich in den letzten Jahrzehnten wurde die aktuelle Entwicklung niedergeschrieben. Neueste Forschungen der Sprache, DNA-Vergleiche und neu entdeckte historische Dokumente in einigen Stadtarchiven ergänzen die mündlich überlieferte Geschichte der Sinti nur in kleinen Bereichen.

Die Geschichte der Sinti in Europa und Deutschland ist für viele Mitbürger eine Geschichte von Misstrauen, Ausgrenzung, Verfolgung und Vernichtung, aber auch von Faszination.

Mit ihrem ersten Erscheinen im 15. Jahrhundert kam es zur Konfrontation kulturell in sich geschlossener Bevölkerungsgruppen (Stadtgesellschaften, Dorfgemeinschaften) mit den „fremden“ Menschen über deren Herkunft man zunächst wenig wusste.

Handelte es sich um von den Heiden Vertriebene aus dem Heiligen Land oder Ägypten? Waren sie Büßer und Pilger im Namen Gottes – oder gar Spione und Späher aus dem Osmanischen Reich?

Das Geheimnis der Herkunft der so genannten „Cigäwnär“ oder „Tatern“ blieb dunkel. Sie wurden schließlich als vaterlandslos und heimatlos bezeichnet. Das „Herumziehen“, „Umlaufen“, „Schweifen“ und „Fahren“ wurde zu ihrem Kennzeichen und ihnen damit auch eine Reihe beruflicher Verrichtungen (Scherenschleifer, Kesselflicker, Kundschafter, Korbmacher, Bürstenbinder, Straßenmusikanten) aber auch delinquente Handlungen (Landstreicherei, Diebstahl, Raub, Betrug, Wahrsagen, Lügen) zugesprochen.

Der Umgang und das Arrangieren mit sozialen Randgruppen wie z.B. Bettlern, Fahrenden oder Vaganten gehörten in der Frühen Neuzeit zur alltäglichen Praxis. Diese funktionierte so lange, wie die damaligen Verhältnisse und Verhältnismäßigkeiten intakt blieben.


Mit der Herausbildung des modernen Staats und den gesellschaftlichen Umwälzungen im 16. Jahrhundert kam es vielerorts zum Erlass von „Polizeiordnungen“ und politischen Maßnahmen. Nichtkonforme oder den jeweils üblichen kulturellen Praktiken zuwider handelnden Bevölkerungsgruppen wurden mit Gewalt in die bestehenden Hierarchien eingeordnet, oder aber aus der Gesellschaft ausgestoßen, verfolgt und vernichtet.

Ein preußisches Edikt aus dem Jahr 1725 drohte zum Beispiel dem „heillosen Volck“ wegen des verübten „Frevels und Muthwillens“ schwere Leibesstrafen wie „Stauppen, Schlägen und Brand-Marcken“ sowie „Landes-Verweisungen“ an.

Viele deutsche Territorialstaaten verschärften im 18. Jahrhundert ihre Maßnahmen gegen die „Fahrenden“ und untersagten schließlich den Grenzübertritt bzw. die „Einreise“ ganz. Ganz im Sinne der aufgeklärten Idee von der „Besserungsfähigkeit“ des Menschen war man auch vielerorts bemüht, dem „Zigeunerunwesen“ mit pädagogischen Mitteln zu begegnen. Familien wurden getrennt, Männer und Frauen ins Zuchthaus gebracht und die Kinder in Waisenhäusern oder in Pflegefamilien „umerzogen“.


Das 19. Jahrhundert brachte nun den wissenschaftlichen Blick auf die Völker der Erde.

Man verortete das Volk der Sinti nun in Ungarn, Rumänien und Siebenbürgen und sah in ihnen ein Nomadenvolk bzw. ein Naturvolk auf gleich niedriger Entwicklungsstufe wie die „Wilden“ in Afrika, Amerika oder Ozeanien.

Andererseits auch bereits das klare ethnografisch hergeleitete Bewusstsein der Überlegenheit der eigenen „weißen“ Rasse gegenüber den als primitiv, triebgesteuert, unkultiviert und minderwertig beschriebenen „Zigeunerstämmen“.

Die Nationalsozialisten erhoben die Lehre von der „Minder- und Höherwertigkeit der Rassen“ ab 1933 zur Staatsdoktrin. Wie die Juden wurden die Sinti als „fremdrassig“ und „volksschädlich“ zudem „arbeitsscheu“ und „asozial“ klassifiziert und kriminalisiert.

Mit den „Nürnberger Rassegesetzen“ wurde 1935 der Ausschluss aus der „Volksgemeinschaft“ vollzogen. Zur „Reinerhaltung des Deutschen Blutes“ wurden Ehen zwischen „Volksdeutschen“ und „Juden, Zigeunern und Negern“ verboten. Die Rassegesetze bildeten die Vorstufe für den Völkermord. Im nationalsozialistisch besetzten Europa fielen ca. 500.000 Sinti und Roma dem Holocaust zum Opfer.

Jeder Angehörige der Volksgemeinschaften der Sinti und Roma hat direkt Familienangehörige in den Lagern verloren.

Die überlebenden Sinti des Völkermordes kämpften nach 1945 lange Zeit vergebens um eine Anerkennung als Opfer des Nationalsozialismus und um Wiedergutmachung. Die junge Bundesrepublik tat sich allgemein schwer mit der Aufarbeitung der historischen Schuld.

Im Bezug auf die NS-Opfer der Sinti stellte sie sich fast ganz taub.

Erst in den 1980er Jahren erkannte der Deutsche Staat die Vernichtung der Sinti durch die Nationalsozialisten als rassistisch motivierten „Völkermord“ an.

Die aus den KZ zurückkehrenden Sinti stießen nach 1945 wie zuvor auf eine Mauer aus Misstrauen, Ablehnung und Diffamierung. Viele wurden behelfsmäßig in bald überbelegten Baracken oder Eisenbahnwaggons an Stadträndern untergebracht. Noch in den 1980er Jahren lebten vielerorts Sinti-Familien in solchen notdürftigen Behausungen oder ihnen speziell zugewiesenen Plätzen außerhalb der Stadt.

Auch die Zugänge zu politischer Mitwirkung, Bildung, „normalem“ Berufsleben und Freizeiteinrichtungen blieben verschlossen bzw. öffneten sich nur zäh. Hierbei begegneten die Überlebenden des Holocaust teilweise sogar den damaligen Tätern in den zuständigen Behörden. Die Sinti blieben auch nach 1945 gesellschaftliche Außenseiter und Fremde im eigenen Land.

In den 1980er Jahren entstanden die ersten wissenschaftlichen Untersuchungen zur sozialen Lage der Sinti. Es wurde eine ökonomische, soziale und besoldungsmäßige Randlage festgestellt. Viele lebten in Armut.
Die aggressive Vertreibungspolitik seit den späten 1940er Jahren, so eine Studie aus dem Jahr 2001, sowie die ängstliche Kontroll- und Bewährungspolitik“ der 1960er Jahre hätten sie sozial und ökonomisch ausgegrenzt.
Sie hätten weiterhin geringere Chancen auf dem Arbeitsmarkt, beim sozialen Status, bei der Schulbildung und bei der Beteiligung an politischen Entscheidungsprozessen.

2011 wurde in einer Studie erneut festgestellt, dass immer noch viele Sinti-Kinder entweder gar nicht oder nur unzureichend beschult würden. Dadurch bliebe oft auch eine berufliche Ausbildung aus und ergäben fast zwangsläufig auch prekäre wirtschaftliche und soziale Verhältnisse.


Erst Ende der 1990er Jahre wurden Sinti als „deutsche Minderheit“ anerkannt.

Vorangegangen war ein langer (und bis heute andauernder) Kampf um gesellschaftliche Akzeptanz, rechtliche Gleichstellung und Chancengerechtigkeit.

Aus den Aktivitäten der Bürgerrechtsbewegung der 1970er Jahre, die besonders mit dem Wirken des Bürgerrechtlers Romani Rose verbunden ist, ging 1982 die Gründung des „Zentralrats Deutscher Sinti und Roma“ in Heidelberg hervor.

Heute leben in Deutschland ca. 80 bis 120.000 Sinti deutscher Staatsbürgerschaft. Fast alle sind mittlerweile sesshaft. Es wirken jedoch immer noch Vorurteile und Klischees, es äußert sich manchmal gar Hass. Ein Grund liegt sicher in der starken Kraft der Überlieferung.

Über Jahrhunderte bewahrten sich die Sinti nicht nur ihre eigene Sprache (Romanes), sondern auch ihre Kultur. Die besondere Bedeutung der Familie und familiärer Hierarchien, interne Formen der Konfliktregelung, traditionelle Meidungsregeln und Umgangsgebote, spezielle Bräuche, Ernährungsgepflogenheiten sowie die gemeinschaftsstiftende Funktion der mündlichen Erzählung bzw. der Musik sind Tradition. In der Berufstätigkeit vieler Sinti-Familien wirken diese Traditionen ebenfalls fort. Ein Teil der Sinti ist immer noch im reisenden Unterhaltungsgewerbe, im Zirkuswesen oder auch im selbstständigen Handel (Kraftfahrzeuge, Antiquitäten, Schrott) tätig.

Ein weiteres wichtiges Element ist die Religion. Die Mehrheit der Sinti ist katholisch oder bekennt sich zu den evangelischen Freikirchen. Auch geringe Formen des Volksglaubens sind noch verbreitet.