Mitgliedschaft im Zentralrat Deutscher Sinti und Roma seit dem 15. Dezember 2022

22. Dezember 2022 Pressemitteilung des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma

Neuer Mitgliedsverein für Niedersachsen im Zentralrat Deutscher Sinti und Roma aufgenommen

1. Sinti-Verein Ostfriesland wird Mitglied im Zentralrat und Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma

Der 1. Sinti-Verein Ostfriesland und Niedersachsen vertritt zukünftig die Interessen der Minderheit aus Niedersachsen im Zentralrat wie auch im Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma. Die Mitgliederversammlungen stimmten am 15. Dezember 2022 in Berlin einstimmig für die Aufnahme des neuen Mitgliedsvereins.

„Der 1. Sinti-Verein Ostfriesland tritt für die Interessen von Sinti und Roma in Niedersachsen ein. Seit vielen Jahren engagieren wir uns, die über 600-jährige Geschichte und die kulturellen Leistungen unserer Minderheit stärker in das gesellschaftliche Bewusstsein zu rücken. Die gleichberechtigte Teilhabe von Sinti und Roma in allen Lebensbereichen zu stärken, sehen wir als eine wesentliche Aufgabe unserer Arbeit an. Wir treten deshalb durch präventive Bildungsarbeit dem Antiziganismus entgegen. Es freut uns besonders, dass wir zukünftig unter dem Dach des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma wirken können.“, erklärte Michael Wagner, der Vorsitzende des 1. Sinti-Vereins Ostfriesland.

Der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, begrüßte die Entscheidung der Mitgliederversammlung ausdrücklich: „Es erfüllt mich mit Zuversicht, wenn ich sehe wie viele gerade junge Menschen auch aus unserer Minderheit sich vor Ort für die Gesellschaft als Ganzes engagieren. Eine starke Zivilgesellschaft in den Kommunen und Ländern ist wichtig für unsere Demokratie, um diese gegen demokratiefeindliche Kräfte zu verteidigen, und um Antiziganismus, Antisemitismus und Rassismus zu bekämpfen.“

Seit 2015 ist der 1. Sinti Verein Ostfriesland e.V. in Leer, Ostfriesland und in ganz Niedersachsen tätig. Der Verein setzt sich nicht nur für die Interessen von Sinti und Roma in der Region ein, er bietet zudem eine anerkannte und gefragte Kompetenz- und Anlaufstelle für die Minderheit, wie auch für die Institutionen der Mehrheitsgesellschaft. Besondere Erfolge konnte der Verein erzielen durch die Bewusstseinsbildung in der Gesellschaft für die Geschichte der Minderheit und den tief verankerten Antiziganismus. Eine eigens konzipierte Wanderausstellung informierte an Schulen, in Gedenkstätten und Museen über das Leben der deutschen Sinti in Ostfriesland nach 1945. Zudem ist der Verein durch Bildungsberater an vielen Schulen in der Region tätig, fördert den Schutz von jungen Sinti und Roma vor Diskriminierung und stärkt durch Empowerment-Arbeit ihren schulischen Erfolg.

80. Jahrestag des „Auschwitz-Erlasses“

Am 14.12.2022 reisten Vertreter des 1. Sinti Verein Ostfriesland e.V. auf Einladung des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma nach Berlin, um an einem umfangreichen Programm zum Gedenken an den „Himmler-Erlass“ teilzunehmen.

Beginnend mit der Vorführung des Filmes „Unrecht und Widerstand – Romani Rose und die Bürgerrechtsbewegung“ nahmen wir an dem interessanten Podiumsgespräch zwischen dem Filmemacher Herrn Peter Nestler und Herrn Romani Rose teil. Im anschließenden Austausch der Besucher untereinander konnten wir uns auf das bevorstehende Gedenken an den „Auschwitz-Erlass“ einstimmen.

Am Folgetag, dem 15.12.2022 besuchten wir dann gemeinsam mit dem Zentralrat die „Gedenkveranstaltung für die Opfer des NS-Völkermordes an den Sinti und Roma“ in der Gedenkstätte Sachsenhausen. Anlässlich des 80. Jahrestages der Unterzeichnung des sogenannten „Auschwitz-Erlasses“ durch Heinrich Himmler, gedachten wir dort, gemeinsam mit einer Vielzahl weiterer Gäste, den Opfern des nationalsozialistischen Völkermordes an den Sinti und Roma, dem über Fünfhunderttausend Angehörige der Minderheit aus ganz Europa zum Opfer fielen. An diesem Gedenken nahmen neben den Vorständen der Landes- und Mitgliedsverbände des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma auch die Kulturstaatsministerin Claudia Roth, der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, der brandenburgische Kultur- und Wissenschaftsstaatssekretär Tobias Dünow und der Stiftungsdirektor Axel Drecoll teil. Besonders die Teilnahme von Alma Klasing, Dieter Flack und Albert Wolf, die den nationalsozialistischen Völkermord an den Sinti und Roma überlebt haben, beindruckte die anwesenden Gäste sehr. Staatsministerin Claudia Roth, Romani Rose, Staatssekretär Tobias Dünow, Landtagsvizepräsidentin Barbara Richstein sowie zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Gesellschaft legten am zentralen Gedenkort „Station Z“ anschließend Kränze nieder.

In ihrer Ansprache sagte Kulturstaatsministerin Claudia Roth: „Wir brauchen mehr Miteinander, mehr kulturelle und politische Bildung und mehr Sichtbarkeit des so großen kulturellen Reichtums von Sinti und Roma. Vor allem aber brauchen wir Anerkennung und Gleichberechtigung. Gemeinsam mit der Community der Sinti und Roma, mit Akteur*innen der Zivilgesellschaft und engagierten Vertreter*innen der Länder und Kommunen werde ich auch weiterhin alles für eine umfassende Gleichberechtigung der Sinti und Roma tun.“

Romani Rose mahnte: „Beim Gedenken und Erinnern heute, mehr als fünfundsiebzig Jahre nach dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft, geht es nicht darum, der heutigen Generation in Deutschland Schuld zu übertragen. Der Sinn des Erinnerns besteht vielmehr in der gelebten Verantwortung für die Gegenwart und für unseren demokratisch verfassten Rechtstaat. In Deutschland ist politisch in den vergangenen Jahrzehnten aufgrund der beharrlichen Arbeit des Zentralrats sehr viel erreicht worden: sowohl der Holocaust an den Sinti und Roma als auch der Antiziganismus als gesamtgesellschaftliche Bedrohung sind mittlerweile anerkannt und die demokratischen Parteien haben sich diesem lange verdrängten Teil der Geschichte gestellt. Dennoch sind viele Sinti und Roma davon überzeugt, dass sie ihr Leben nur dann frei gestalten können, wenn sie sich in die Anonymität zurückziehen. Die Ursachen dafür liegen im Antiziganismus. Seine Ächtung ist nicht die Aufgabe der Minderheit selbst. Es ist die Aufgabe der Gesellschaft und ihrer Institutionen, denn wir sind gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger unserer europäischen Heimatländer, in denen wir Staatsbürger sind und in denen wir seit Jahrhunderten leben.“

Staatssekretär Tobias Dünow sagte: „Ausgrenzung – das war für Sinti und Roma in Deutschland nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Nicht nur zwischen 1933 und 1945, sondern schon in den Jahrhunderten zuvor, und auch danach. Es ist der Bürgerrechtsbewegung um Romani Rose zu verdanken, dass wir mittlerweile – viel zu spät – an diese Verbrechen der Nationalsozialisten erinnern. Diese Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma war und ist ein unglaublicher Akt des Mutes und der Selbstbehauptung gegen Hass, Ignoranz und Arroganz.“

Stiftungsdirektor Axel Drecoll ergänzte: „Auch im demokratischen Rechtsstaat der Bundesrepublik prägten über Jahre und Jahrzehnte Vorurteile, Diffamierungen und Benachteiligungen die gerichtliche und behördliche Praxis. Die meisten überlebenden Sinti und Roma waren nach 1945 eben keine Berechtigten und Gleichberechtigten, sondern blieben lange Zeit Opfer staatlich betriebener und sanktionierter Unrechtspolitik. Bis heute gehören gesellschaftliche Diskriminierung und Übergriffe zum traurigen Alltag der Sinti und Roma. Umso wichtiger ist es, hier und heute der Opfer zu gedenken, die Überlebenden zu ehren und die Verbrechen aufzuarbeiten. Der Blick in die Vergangenheit kann und muss dazu dienen, die fundamentale Bedeutung von gegenseitigem Respekt und Solidarität in Gegenwart und Zukunft besonders hervorzuheben. Nur so ist gewährleistet, dass die Würde jedes Menschen tatsächlich unantastbar ist und dass wir Vielfalt nicht nur respektieren, sondern als Existenzgrundlage und Lebenselixier unserer Gesellschaft begreifen.“

Am Folgetag besuchte dann die Abordnung des Zentralrates die Gedenkveranstaltung im Deutschen Bundesrat in Berlin. Auf dieser Veranstaltung hielt der amtierende Präsident des Bundesrates, Herr Tschentscher eine sehr emotionale und respektvolle Ansprache zur Erinnerung und Verantwortung dieses Anlasses. Anschließend fanden sich mehrere Ministerpräsidenten der Länder mit den Vertretern des Zentralrates zu einem Gespräch zusammen und erörterten die geschichtliche Verantwortlichkeit zum Thema Verfolgung, Ausgrenzung und Antiziganismus in Deutschland.

Hintergrund:

Vor 80 Jahren, am 16. Dezember 1942, unterzeichnete Heinrich Himmler den sogenannten „Auschwitz-Erlass“, der die Deportation von Sinti und Roma aus ganz Europa in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau anordnete. Darunter waren auch 10.000 deutsche Sinti und Roma aus dem damaligen Reichsgebiet. Insgesamt wurden im besetzten Europa mehrere Hunderttausend Sinti und Roma in Konzentrationslagern oder durch Einsatzgruppen der SS ermordet. Im Konzentrationslager Sachsenhausen waren mehr als 1.000 Sinti und Roma inhaftiert.

10. Jahrestag des „Denkmals für die im Nationalsozialismus ermordetet Sinti und Roma Europas“ in Berlin.

Auf Einladung vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma, reisten Vertreter des 1. Sinti Vereins Ostfriesland e.V. am 21. Oktober 2022 nach Berlin, um an der zweitägigen Tagung zur Erinnerung an diesen Jahrestag teilzunehmen. Anlässlich dieses Jubiläums veranstaltete der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma in Zusammenarbeit mit dem Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma mehrere Veranstaltungen in Berlin.

Eingeleitet wurde diese Veranstaltungsreihe am 22.Oktober mit einem Vortrag des Antiziganismus-Beauftragtem, Herrn Dr. Mehmet Daimagühler, über die Bekämpfung von Antiziganismus in Europa und Vorstellung der eingerichteten Monitoring- und Informationsstelle in Berlin. Hierzu stellte sich der Projektleiter dieses Projektes, Herr Guillermo Ruiz sich und einige der weiteren Mitarbeiter vor.

Am nächsten Tag wurde im Hause der evangelischen Kirche Deutschlands nach einem Vortrag dann zuerst die Dokumentation bzw. der Kurzfilm „Das Catering“ vorgeführt und direkt im Anschluss mit und unter einer Vielzahl von Fachleuten diskutiert. Nach einer kurzen Pause begannen dann die Podiumsgespräche zu folgenden Schwerpunkten:

– Die nationalen Denkmäler als Orte der Demokratie und des Gedenkens, – Aktuelle Ausstellungsprojekte in Deutschland und weltweit, – Politische Ausrichtung von Gedenkinstitutionen weltweit und – Herausforderungen in der Bildungsarbeit musealer Einrichtungen.

Sehr interessant war hier die Teilnahme von Vertretern europäischer und außereuropäischer Museen.

Im anschließender freier Runde tauschten sich die Teilnehmer gegenseitig fachlich rege aus und berichteten von ihren jeweiligen Erfahrungen und Arbeitsansätzen. Am Abend wurde dann vor geladenen Gästen das Oratorium „O Lungo (D)rom – der lange Weg“ (ein Oratorium zur Geschichte der Sinti und Roma), im Konzerthaus am Gendarmenmarkt in Berlin welturaufgeführt. Der Komponist widmete dieses Oratorium persönlich Herrn Romani Rose.

Am Abschlusstag fand dann der Festakt am „Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas“ statt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach hierbei neben dem Überlebenden Zoni Weisz und Herrn Romani Rose vor zahlreichen geladenen Gästen, weiteren Überlebenden sowie interessierten Bürgerinnen und Bürgern. Zusätzlich wurde eine, von der „Stiftung Denkmal“ kuratierte Freiluftausstellung neben dem Denkmal eröffnet.

Anbei die offizielle Ansprache von Romani Rose :

Zentralrat (sintiundroma.de)

Mia Fachworkshop in Berlin vom 21.-22.November 2022

Vertreter des 1. Sinti-Verein Ostfriesland e.V. nahmen an einem weiteren Fachworkshop im Bildungszentrum gegen Antiziganismus in Berlin teil. An dem, vom Projekt „MIA“ (Melde- und Informationsstelle Antiziganismus) durchgeführten Workshop nahmen 5 Vereinsmitglieder teil.

Am Montag, dem 21. November 2022 präsentierte das „MIA Team“ seine Projektarbeit vor einer Vielzahl von Fachleuten und Vertretern aus einzelnen Bundesländern. Das Projekt „MIA“ stellte seinen Projektauftrag, die Zielgruppen seiner Arbeit, die Aufgaben und Ziele und deren Umsetzungsstrategien vor. Insbesondere die Arbeitsweisen und Differenzierungen in der Definition des Begriffes „Antiziganismus“, dem im Projekt entwickelten Kategorisierungssystem und dessen Leitfaden wurden umfassend vorgestellt und erläutert. Alle Beteiligten berichteten neben dem Projektteam über ihre bisherigen persönlichen Erfahrungen und nahmen rege an der abschließenden Diskussionsrunde teil.

Am folgenden Tag des Workshops wurden dann Beispiele aus der Praxis besprochen, woraus sich ein aktiver Austausch zu konkreten Fällen entwickelte. Hier konnten Lösungsmodelle, verschiedene Möglichkeiten der Hilfestellungen sowie Arten einer Zusammenarbeit besprochen und zielgerichteter entwickelt werden. Auch zum Ende des zweiten Tages fand eine informative Abschlussdiskussion statt.

Gestärkt mit neuen Informationen traten unsere Vereinsmitglieder die Heimreise an und freuen sich auf weitere zukünftige Entwicklungen und Veranstaltungen des „MIA“ Projektes.

Nachruf für unseren Ehrenvorsitzenden „Mirando“

Voller Bestürzung und in tiefer Trauer müssen wir vom plötzlichen Ableben unseres Ehrenvorsitzenden Mirando Wagner berichten.

Mit Mirando verlieren wir einen stetigen Aktivisten und Engagierten für die Belange der Menschen aus der Ethnie der Sinti. Als „Leeraner“ konnten auch die Mitbürger aus der Mehrheitsgesellschaft bei ihm stets ein offenes Ohr finden.

Sein unermüdliches Engagement um Information und Aufklärung, zum Beispiel in der Präsentation unserer Wanderausstellung „Unter uns…Sinti in Ostfriesland“, möchten wir hier nochmals benennen. Wie viele Präsentationen und Workshops haben wir mit Mirando in den letzten Jahren landes- und bundesweit besuchen dürfen. Sein aufrichtiger Einsatz für die Belange der Minderheiten der Sinti und der Roma in unserem Verein werden eine Lücke hinterlassen, welche nur schwerlich zu füllen sein wird.

Gerade im Ruhestand war Mirando ein verlässliches und ruhiges Fundament in unserer Vereinsarbeit. Als Vorbild für die nachwachsenden Generationen gibt er uns allen den Auftrag sein Wirken fortzuführen. Sein Wunsch, einen Gedenkort in Leer zu realisieren, ist uns Auftrag.

Ein angenehmer und zugewandter Mensch hat uns nun verlassen. Seine Weitsichtigkeit und seine diplomatische Art werden wir immer in positiver Erinnerung halten und ihm ein ehrendes Andenken bewahren. Unsere Mitglieder trauern mit den Angehörigen über diesen Verlust.

1.Sinti.-Verein Ostfriesland e.V.